Regisseure im Interview

mit Michael Pekler

 

SCHLAGERSTAR begleitet den volkstümlichen Musiker Marc Pircher, einen der populärsten Entertainer seiner Branche im deutschsprachigen Raum. Was hat Euer Interesse an diesem, für einen Dokumentarfilm ungewöhnlichen, Thema geweckt?

Stadlober: Der Ausgangspunkt des Films war unser Wunsch, einen differenzierten Blick auf diese Branche zu werfen, zu der es keine unvoreingenommene Haltung zu geben scheint. Mit Marc Pircher haben wir einen Protagonisten gefunden, den wir, um einen solchen Einblick zu gewinnen, über ein Jahr lang bei seiner Arbeit begleiten durften. Die Begegnung mit Pircher war aber nicht das Ergebnis einer groß angelegten Recherche, um ihn als repräsentativen Musiker für die Schlagerbranche auswählen zu können. Vielmehr kommt Pircher aus einer musikantischen Tradition, singt aber auch romantische Schlager. Bei Hansi Hinterseer sieht das ganz anders aus.
Antoniazzi: Wir würden SCHLAGERSTAR auch nicht als Musikdokumentarfilm bezeichnen. Während der Produktion stellten wir uns wiederholt die Frage, welche Rolle die Musik im fertigen Film einnehmen soll. Wir haben uns dafür entschieden, sie stets im Originalton zu präsentieren, egal wo wir uns mit der Kamera befinden. SCHLAGERSTAR ist aber auch kein Porträtfilm, sondern eine Dokumentation über einen Unterhaltungsmusiker und damit über das Selbstverständnis dieser Branche.

Hat das abschätzige Urteil über die Branche ausschließlich mit schlechter Musik zu tun oder liegt es nicht auch daran, dass ausgerechnet der seichten Unterhaltung ein enormer ökonomischer Erfolg beschieden ist?

Stadlober: Das Besondere an dieser Musik ist der Umstand, dass sie von den Fans verklärt und den Kritikern vernichtet wird. Obwohl sich alle blasiert und abgeklärt geben, bleibt volkstümliche Musik für ihre Gegner unzumutbar. Aber diese negative Haltung ist auch eine Möglichkeit zur Distinktion. Ein durchschnittlicher Schlagerhörer macht auch nichts anderes als ein durchschnittlicher Sinfoniekonzertabonnent. Beide wollen nicht überrascht und nicht herausgefordert werden, sondern das hören, was sie immer schon gehört haben. Insofern hören sie beide den gleichen Kitsch.
Antoniazzi: Die Kritik an dieser Musik verfehlt im Grunde deren eigentliche Rolle. Denn das Konsumieren von volkstümlicher Musik ist ein Vorwand, um etwas ganz Anderes zu bekommen – der soziale Faktor spielt hier eine wesentlich größere Rolle. Den Fans sind etwa die Texte völlig egal.
Stadlober: Diese Musik hat ja auch keine Botschaft und will gar keine haben.

Es gibt im Film erstaunlich wenige Aufnahmen von Fans, vor allem bei Konzerten. Das scheint mir eine Strategie, die auch daraufhin ausgelegt ist, das Publikum nicht vorzuführen.

Antoniazzi: Die Entscheidung, uns ganz auf Pirchers Arbeitsabläufe zu konzentrieren, fiel erst im Schnitt. Wir hatten wenige ausgewählte Fans begleitet, dann aber bemerkt, dass uns die Fans als Figuren nichts Neues erzählen. Man kennt diese Leute aus TV-Reportagen, in denen sie oft als Freaks herhalten müssen. Wir hätten diese Menschen, um ihnen gerecht zu werden, also in ihrem alltäglichen Umfeld zeigen müssen, was aber nicht Thema des Films war und auch den Rahmen gesprengt hätte.
Stadlober: Einerseits hat sich die Hoffnung, dass hier ganz „normale“, nette Leute in den Konzerten zu sehen sind, erfüllt. Andrerseits sind nette Leute, die sich einen schönen Abend machen, halt als Filmfiguren nicht sehr ergiebig.

Marc Pircher betont immer wieder die Wichtigkeit, mit seinen Fans in Kontakt zu bleiben. In einigen Szenen kann man beobachten, wie diese Kontaktpflege als Routine abläuft: Autogramme, Fototermine auf einem Ausflugsschiff, usw. Haben diese Momente nicht auch etwas Entblößendes?

Antoniazzi: Unsere Absicht war es, beim Zuschauer den Gedanken zu ermöglichen, was Pircher den Leuten eigentlich verkauft, ohne ihn zu desavouieren. Führt er die Fans hinters Licht, erfüllt er eine Mission – oder macht er nur seinen Job? Gerade weil diese Szenen entsprechend dauern, kann man erkennen, wie wichtig und zugleich anstrengend es für Pircher ist, für jeden Einzelnen ein nettes Wort und ein Lächeln parat zu haben. Dafür braucht man kein Mitleid mit ihm zu haben, aber ihn auch nicht bloßzustellen.
Stadlober: Gleichzeitig geht er mit dieser Art von Zweckbündnis mit seinen Fans unverblümt um und verheimlicht überhaupt nicht, dass die Beziehung zu ihnen auch harte Arbeit ist. Die Fans sind die Basis für sein Geschäft – das weiß er, und das zeigen wir auch.

Ihr habt bewusst auf Interviews verzichtet, man hört nur einige öffentliche Statements, wenn Pircher diversen Medien, etwa einem Radiosender, Auskunft gibt. War das auch eine Methode, um ihm die Möglichkeit der Selbstdarstellung zu nehmen?

Stadlober: Der prinzipielle Zugang des Films ist der des Direct Cinema, weshalb die Interviewtechnik für uns keine dramaturgische Option war. Was im Film ersichtlich wird, ist Pirchers Professionalismus vor der Kamera, und zwar in dem Sinn, dass er sie völlig zu vergessen scheint. Er wäre ein großartiger Amateurschauspieler mit nur einer Rolle.
Antoniazzi: Dadurch hatten wir bei den Dreharbeiten auch immer das Gefühl, dass ohnehin alles Wesentliche vor unseren Augen passiert, ohne eingreifen zu müssen.

Wie hat Pircher auf Euch reagiert?

Antoniazzi: Seine Skepsis uns und dem Film gegenüber war zwar zunächst groß, die Neugierde aber wohl größer. Außerdem macht er seinen Job derart professionell, dass er im Grunde immer wusste, dass er nichts zu verlieren hat, wenn wir ihn mit der Kamera beobachten.
Stadlober: Er hat ein gesundes Selbstvertrauen, was sein Handwerk betrifft. Und natürlich die Hoffnung, mit diesem Film seinen Markt und seinen Bekanntheitsgrad zu erweitern. Tatsächlich hat sich bei ihm auch ein privates Interesse herausgestellt.

Bei aller Professionalität Pirchers sehen wir ihn auch in Momenten des Selbstzweifels, wenn er etwa „genug hat von der Arschkriecherei“ und die volkstümliche Musik mit der Mafia und der Prostitution vergleicht. Sind das die „wahren“ Momente des Films?

Antoniazzi: Diese Momente bilden keine Ausnahme, sondern sind die Regel, und ich hoffe, dass der Film diese Höhen und Tiefen auch vermittelt. Pircher als Privatperson hat uns allerdings nie interessiert.
Stadlober: Pirchers private Eigenheiten spielen für seinen Beruf keine größere Rolle, und wir wollten auch kein Drama erzählen, sondern von einem Arbeiter bei der Arbeit. Deshalb ist er bis auf eine einzige Szene auch im gesamten Film zu sehen.

Auffällig sind die wiederkehrenden politischen Statements, sowohl auf der Bühne als auch bei TV-Interviews. Hier präsentiert sich Pircher als moderater EU-Kritiker mit einer gehörigen Portion Heimatstolz. Wie wichtig war es für Euch, diesen nationalpolitischen Aspekt der Unterhaltungsmusik in den Film einzubringen?

Stadlober: Diesen Aspekt darf man nicht aussparen, denn der Chauvinismus spielt in dieser Branche eine große Rolle. Explizit politische Aussagen sind zwar eher selten, die Schönheit der Heimat, „Preußenwitze“ und Sexismus sind aber Dauerthemen. Man sieht anhand zweier Szenen, in denen der Heimatbegriff thematisiert wird, vor allem in geografischer Hinsicht aber auch einen recht pragmatischen Umgang damit. Andererseits ist Pirchers „Österreich-Lied“ der einzige Song, bei dem er nie das Pathos bricht.
Antoniazzi: Wichtig ist zu sehen, wofür „Heimat“ in der volkstümlichen Musik eingesetzt wird. Bei Pircher kann man gut erkennen, wie er den Begriff wie für einen Setzkasten verwendet, sich aber nie persönlich positioniert.

Diese Oberflächlichkeit fällt offensichtlich mit Pirchers Rastlosigkeit zusammen. Er trifft viele Entscheidungen buchstäblich en passant.

Antoniazzi: Wir haben den Film mit der Idee begonnen, den gesamten Produktionszyklus von Pirchers CD zu seinem 20-jährigen Jubiläum abzudecken. Als wir auf die dafür wichtigen Termine warteten, mussten wir feststellen, dass es diese gar nicht gab: Vieles geschah so spontan, dass wir unsere Strategie ändern mussten und beschlossen, ihn zu diversen Anlässen – von der Präsentation bis zum Auftritt im „Musikantenstadl“ – jeweils mehrere Tage lang zu begleiten.

Der Film übernimmt in der Montage diesen treibenden Rhythmus.

Antoniazzi: Rhythmus und Tempo des Films haben sich bereits während der Dreharbeiten aufgedrängt. Eine Besonderheit sind die im Film zu hörenden Songs von Pirchers Bühnenauftritten: Dies ist immer auch eine technische Herausforderung, wenn man, wie in unserem Fall, nur eine Kamera zur Verfügung hat.

Hat Pircher Eure Erwartungen erfüllt, indem er sich als typischer Repräsentant der Branche erwiesen hat, oder zeichnet ihn doch etwas Besonderes aus?

Antoniazzi: Beides. Er ist einerseits typisch für die Branche, andererseits wirkt er vor allem aufgrund seines Arbeitsablaufs wie ein Kondensat, und das macht ihn wiederum zu etwas Besonderem.
Stadlober: Für den volkstümlichen Schlager ist er repräsentativ, nicht aber für den romantischen. Man denkt bei der Schlagerbranche immer an die großen Stars, aber davon gibt es eigentlich nur drei. Untypisch sind also die anderen wenigen, während Pircher durchaus als typischer Vertreter der Branche zu sehen ist. Denn das sind nach wie vor großteils Musiker alten Schlages, die hier ihr Geld verdienen.

 

Michael Pekler arbeitet als freier Filmkritiker und -publizist („Falter“, „Filmbulletin“).

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