Ein uneigener Traum

von Daniel Wisser

 

In einem Dokumentationsfilm mit Emotionen umzugehen ist schwierig – viel schwieriger als in einem Spielfilm. Das scheinbar Objektive und Faktische programmiert unsere Reaktionen einfach und effizient. Wir sehen eine Doku über Brian Wilson und wollen danach Brian Wilson sein. Und auch mit negativen Emotionen funktioniert das: Wir sehen eine Doku über Plastik, und danach hassen wir Plastik. Viel schwieriger ist es, die Zusehenden ihren Emotionen zu überlassen. Das gelingt den Autoren des Films SCHLAGERSTAR, der einen in eine seichte Traurigkeit entlässt, nachdem man zuvor 90 Minuten lang in die Leere starrte – die volle Leere.

SCHLAGERSTAR ist ein Portrait des volkstümlichen Musikers Marc Pircher. Wir nähern uns dem Star aber nicht trotz seiner Unzugänglichkeit, sondern wegen seiner Zugänglichkeit. Der Film kommt völlig ohne Kommentar aus, ohne Hintergrundmusik, ohne kameratechnische Finesse. Wir begleiten Pircher auf seinen rastlosen Wegen ins Studio, auf die Bühne, ins Bierzelt, zu aus Wohnzimmern sendenden Internetradios, Fernsehauftritten, Fan-Besuchen mit dem Traktor, zum CD-Signieren und Vielem mehr. Dabei erleben wir eine hochtechnisierte Welt, in der Autos, Freisprechanlagen, Mobiltelefone große Rollen spielen, aber auch coole Sonnenbrillen, Jeans und Bierbäuche.

Die scheinbare Objektivität der Autoren entpuppt sich bald als eine perfide Art der Subjektivität, die den Pircherschen Lebenstraum, das im Titel behauptete Startum, die peinlich dokumentierte peinliche Gegenwart zu einer Pein macht, zu einer Traurigkeit – und das eben nicht ironisch oder zynisch, sondern mit einer makellosen Genauigkeit und Ernsthaftigkeit, die (indem sie scheinbar nicht inszeniert) das Dargestellte gnadenlos aushöhlt.

Der Lebenstraum der Ich-AG Pircher, nämlich seine Musik zu machen, wirkt zuerst logisch, klar, verständlich; doch nur, bis man bemerkt, dass das vorgeblich Eigene etwas gänzlich Uneigenes ist. Die angestrebte Popularität seiner Songs und deren Texte, das unbedingte Gefallenwollen macht das Publikum zum alleinigen Souverän, spricht ihm aber jede Souveränität ab. Da wird das Trinklied Ein Prosit der Gemütlichkeit, das ungemütlichste aller Lieder, gleich mehrmals pro Auftritt gesungen, da werden abenteuerlich dilettantische Reproduktionen von Hansi Hinterseers Hände zum Himmel oder Fendrichs Monarchistenhymne I Am from Austria gegeben, und dazu gibt es sogar eine Botschaft, nämlich die, dass jenes deutschsprachige Gebiet, das sich ziemlich genau mit Pirchers Wirkungsgebiet deckt, der schönste Teil der Erde ist. Pircher ist immer auf der Reise, auf einem Güterweg to Hell, wo auch komische und peinliche Momente nicht fehlen, wie etwa taktische Gespräche über CD-Selbstkäufe beim eigenen Label, die zum Erreichen der Auszeichnung Platin nötig sind. All das zeigt, dass der Mensch Pircher der Knecht oder Sklave dieses seines Traumes ist, und dafür durch die Hölle geht, in der er ohnehin schon lebt. Es gibt sogar eine Szene, in der Pircher sich im Gespräch mit einer Maskenbildnerin tatsächlich als Verfolgter und Ausgestoßener sieht.

In vieler Hinsicht könnte man bei der verwendeten Methode von der Trivialisierung des Poetischen und der Poetisierung des Trivialen sprechen, doch das trifft es nicht ganz, denn noch der aussichtsloseste Größenwahn bietet weitaus mehr Identifikationspotential. Und wer gedacht hat, er würde in der Welt der volkstümlichen Musik jenes letzte Paradies der Musikindustrie finden, in dem alles noch aus Gold ist, wird in diesem Film nicht fündig.

Unabhängig vom Thema und der Hauptperson von SCHLAGERSTAR ist der Stil dieses Films das wirklich Großartige. Nicht, dass seine Machart neu wäre, aber die präzise Vermeidung jedes Voyeurismus und jeder auch nur andeutungsweisen Tendenz habe ich noch nicht oft in einem Dokumentarfilm gesehen. Und vielleicht ist diese Methode auch auf andere Lebensträume abwendbar, um das unbemerkt Verschwundene doch darstellbar zu machen.

 

Daniel Wisser, geb. 1971, lebt als Schriftsteller und Musiker in Wien.
 
2003 erschien sein Debutroman „Dopplergasse acht“.
 
2011 war er für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert; im selben Jahr erschien der Roman „Standby“.
 
Bei der Literaturbiennale Floriana erhielt er 2012 den 2. Preis für seinen in Arbeit befindlichen Roman „Ein weißer Elefant“.
 
Foto: (c) Alek Kawka

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