Schlagerstar oder die BaumeisterInnen von Traumwelten

von Andy Zahradnik

 

Es würde zu weit gehen, in die Geschichte des deutschen Schlagers zurück zu wandern, denn dieses musikalische Genre hat, wie im Übrigen kein anderes, ob der großen potentiellen Zielgruppe seit bald 100 Jahren die unterschiedlichsten Entwicklungen durchgemacht. Aber unterm Strich steht fest: Ganz gleich, auf welchem politischen und gesellschaftspolitischen Humus (vor allem) die Texte der Lieder entstanden sind, die ProtagonistInnen der Schlagerszene mit all ihrem musikindustriellen Background waren seit jeher BaumeisterInnen von Traumwelten. Schlager sind Unterhaltung. In drei Minuten erzählen Schlager Geschichten, für die Liebesromane 200 Seiten brauchen. Es sind bunt bemalte Kulissen, vor denen geliebt, geherzt, geheult wird. Dahinter ist es Zirkus, Geschäft, Musikantenleben. Mit allen Höhen und Tiefen.

Marc Pircher ist einer der aktivsten Protagonisten der Szene. Pircher, ein Hans-Dampf in allen Schlagergassen. Am Schnittpunkt zwischen volkstümlicher Unterhaltungsmusik und Schlager musizierend, kennt man den Zillertaler Musiker nicht nur aus den einschlägigen Charts, Sendungen und Magazinen, sondern auch durch seine Moderations-Jobs beim Fernsehen (Grand Prix der Volksmusik, Weihnachten auf Gut Aiderbichl u.a.). Marc Pircher ist der „Schlagerstar“, den die Kamera für den gleichnamigen Dokumentarfilm nahezu ein Jahr lang begleitete. Die Kamera war dabei, an Pirchers Seite, einfach immer auf Rotlicht, beobachtend, absolut wertungsfrei.

Die aufgenommenen Bilder gingen in den Schnitt, und auch da ist das Ergebnis wertungsfrei, von manipulativ weit entfernt. Kennt man die Szene, dann gilt ein „es ist, wie es ist“. Der Film zeigt ein Geschäft. Punkt. Hinter den Kulissen geht es klarerweise anders zu als davor. Gagen, CD-Verkäufe, TV-Auftritte und Charts sind die Parameter, die es bestmöglich zu schaffen gilt. Der Markt dafür liegt vor der Haustüre. Zwischen Neusiedlersee und Kiel ist Schlagerland. Schlager ist jenes Genre, in dem österreichische Musiker die größten kommerziellen Exporterfolge feiern. Entsprechend stark ist der Verteilungskampf und ebenso hart ist der Job.

Der Film „Schlagerstar“ zeigt dem Zuseher auf nahezu entwaffnende Art, was es für den Star heißt, immer am Drücker zu bleiben, damit sich das Karussell stetig dreht. Klinkenputzen, Tag und Nacht im Auto, auf der Bühne, Promotion, Fernsehshows, die Radioeinsätze befeuern, sich um die Fans kümmern… Pircher, der „Schlagerstar“, wird den Kritikern des Genres Munition liefern, denn der Film zeigt das Geschäft und lässt die Kulissen Kulissen sein. Auch wird der Film die Fans nicht ratlos oder gar enttäuscht aus dem Kinosessel entlassen, denn selbst dem gutgläubigsten Schlager-Fan ist klar, dass alles, was auf der Bühne, am TV-Schirm passiert, Teil einer gut geplanten und orchestrierten Inszenierung ist. Die Fans wissen, dass sie sich mit dem Ticket für die Show temporär in eine Traumwelt begeben.

Abgesehen von der handwerklichen und dramaturgischen Qualität, die den Film zu einem herausragenden Doku-Werk macht, ist vor allem erstaunlich, dass Marc Pircher den Mut zu der Geschichte hatte. Sich nicht weg duckte, nicht in den Stadl-Kulissen und Pappmache-Bäumen versteckte, sondern zu dem steht, was da auf der Leinwand zu sehen ist. Pircher, der gnadenlose Selbstvermarkter, wird sich den Kritikern, die eh immer schon alles gewusst haben, stellen müssen, und derer gibt es erfahrungsgemäß nicht gerade wenige. Er wird seine Argumente finden, und er steht das durch, denn mal ganz ehrlich: Glaubt irgendwer, dass es im Rock-Zirkus anders läuft?

There is no business, like show business…

 

Andy Zahradnik ist seit 1973 in verschiedenen Positionen im österreichischen und deutschen Musikgeschäft tätig.
Angefangen mit einer Lehre bei CBS (später Sony Music), arbeitet er sich bis zum Director of Promotion für Sony Music Germany hoch und macht sich schließlich nach 25 Jahren in der Plattenindustrie selbstständig. Seither arbeitet er als Subunternehmer für die Firmen media control gfk und nielsen music control. Neben seiner Tätigkeit als Autor und Redakteur für „Der Musikmarkt“ ermittelt er mit seinem Team seit 1998 wöchentlich die Austrian Airplay Charts und die Ö3 Austrian Top 40. 2001 wurde er mit dem Amadeus Austrian Musik Award als Musikpartner des Jahres ausgezeichnet.
Foto: Hubert Mican

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