Branchenexperte Peter Draxl im Interview

 

Wie entwickelt sich der Markt für Schlager und volkstümliche Musik in Österreich?
Im Vergleich zu den anderen Teilen der Branche gut, weil er nicht so extrem vom allgemeinen Rückgang der Verkaufszahlen betroffen ist. Das liegt daran, dass sich die Schlager- und Volksmusikfans eher in der ländlichen als in der städtischen Bevölkerung finden und älter sind. Sie sind keine Technikfreaks, Downloads spielen keine so große Rolle, sie sind eher haptisch orientiert und wollen etwas in der Hand haben.

Dann verstehe ich nicht, wieso in den CD-Verkaufsstatistiken der Musikindustrie der Marktanteil von Schlager und Volksmusik seit Jahren stabil in der Gegend von 9% steht?
Das verstehe ich auch nicht, weil bei uns und bei Sony ist er deutlich höher. Wir sind ja quasi die Platzhirsche im Bereich Schlager und Volksmusik, und bei uns ist der Anteil bei 25-30%. Und der ist in den letzten Jahren sicher gewachsen.

Wie haben sich die Anteile innerhalb Ihrer Firma verschoben?
Ich habe jetzt keine Zahlen, aber in den letzten zehn Jahren hat sich das Gesamtvolumen der CD-Verkäufe in etwa halbiert, Schlager und Volksmusik sind einigermaßen stabil geblieben. Man kann sich das auch in den Charts anschauen. Wenn man sich die österreichischen Albumcharts von vor zehn oder fünfzehn Jahren anschaut, wer dort in den Top 20 war und die Schlagerkünstler abzählt, dann werden das deutlich weniger sein als heute, weil jetzt hat man manchmal einen Schlageranteil von 50-70% in den Top 20.

Schlager und volkstümliche Musik werden meistens in einen Topf geworfen. Unterscheiden Sie als Plattenfirma zwischen diesen Genres?
Wir differenzieren. Es gibt ja auch Künstler, die wollen nicht ins volkstümliche Eck – oder in die volkstümliche Schublade – geschoben werden, sondern Schlagerkünstler sein. Wir haben uns für den internen Hausgebrauch eine ganz einfache Differenzierung zurecht gelegt: Wer eine Tracht trägt, ist volkstümlich, wer keine trägt, zählt zum Schlager (lacht). Also das Nockalm Quintett in weißen Anzügen sind Schlagerkünstler, die Jungen Zillertaler und Marc Pircher sind volkstümlich.

Bei Marcs Gewand ist das aber schwer zu entscheiden.
Wenn er eine Zillertaler Weste trägt, ist er ein volkstümlicher Künstler, trägt er am nächsten Tag keine mehr, ist er Schlagersänger (lacht). Also musikalisch kann man es ohnehin kaum unterscheiden. Man kann es vielleicht noch über die deutsche Sprache oder Mundart differenzieren. Obwohl die meisten volkstümlichen Interpreten ja heute auch schon Hochdeutsch singen.

Wie hat sich das Publikum im Lauf der Zeit verändert?
Das Publikum war immer dasselbe, aber dann hat’s den großen Gabalier-Effekt gegeben, der die Jungen zur „Volkstümlichen Musik“ gebracht hat.

Gehen die Jungen nur zu Andreas Gabalier oder gehen sie jetzt auch zu anderen Volks- und Schlagermusikern?
Sie sind schon immer zu diesen Veranstaltungen gegangen, weil es in ihrem Einzugsgebiet nichts anderes gegeben hat – und das ist ja nach wie vor so. Wenn du in Ybbs wohnst oder irgendwo in der tiefsten Steiermark, musst du das konsumieren, was dir vor Ort geboten wird – und das sind seit Generationen Schlager und Volksmusik. Weil ein Bon Jovi oder ein Robbie Williams werden sich nicht dorthin verirren. Aber jetzt haben diese Jungen für sich einen Star gefunden, den sie auch auf Platte kaufen und dem sie nachfahren, und sie besorgen sich ein Dirndl beim Eduscho, das sie dann anziehen um zu zeigen, dass sie das alles cool finden: das ist der Gabalier-Effekt. Gabalier hat quasi den Robbie Williams abgelöst als Sexsymbol im Kinderzimmer (lacht). Aber ich glaube nicht – also glauben heißt nichts wissen, aber es schaut bis jetzt nicht danach aus – dass diese Teenager und jungen Erwachsenen jetzt automatisch auch die Kastelruther Spatzen kaufen.

Wieso hab ich noch keine Trittbrettfahrer gesehen, die versuchen, von diesem Gabalier-Effekt zu profitieren?
Die gibt’s schon, aber sie kommen nicht hoch, dafür sorgen die Medien. Kopieren war noch nie ein guter Plan. Man muss etwas für sich erfinden, das sonst niemand hat. Es gibt aber immer wieder Menschen, die das nicht verstehen.

Heißt das, wenn Gabalier jetzt verschwinden würde, wäre wieder alles beim Alten? Keine Nachhaltigkeit?
Er hat auf jeden Fall die Schwelle niedriger gemacht: In ganz normalen Großstadtunternehmen sieht man jetzt hin und wieder Entscheidungsträger mit einem Trachtenjopperl, weil’s wieder salonfähig geworden ist. Vor fünf Jahren warst du der Depp in der Tracht (lacht) − das Landei. Also insofern hat Gabalier sehr wohl zu einer kulturellen Veränderung beigetragen.

Es wird oft davon geredet, dass wegen des schrumpfenden CD-Markts das Live-Geschäft für die Musiker immer wichtiger wird. Statistiken dazu sind aber nicht verfügbar.
Das lässt sich nur schwer herausfinden, weil die Menschen natürlich ihre Zahlen nicht hergeben. Aber ich kenne ja die Live-Umsätze von unseren Künstlern, oder einiger unserer Künstler und natürlich auch die Umsätze, die sie mit CD-Verkäufen machen. Da kann man grob geschätzt sagen: Drei Viertel machen sie mit live und Merchandising und ein Viertel mit CD-Verkäufen.

Wie hat sich diese Verteilung in den letzten zehn Jahren verschoben?
Vor fünfzehn Jahren war die CD noch der Haupt-Income-Stream. Da war das Verhältnis zwei Drittel CD-Verkäufe und ein Drittel live und Merchandise. Der Live- und Merchandise-Income hat also die Macht übernommen.

Steigt Universal deshalb in letzter Zeit vermehrt in die anderen Bereiche der Vermarktung ein?
Ja, das ist natürlich der Grund, wir wollen an diesem Kuchen auch unseren Anteil haben. Weil wir sorgen ja mit einer Albumproduktion dafür, dass der Künstler in die Medien kommt – und der Künstler selber drückt dann quasi ab, indem er erfolgreiche Live-Tourneen veranstaltet, von denen wir wieder nichts haben. Das ist in Wahrheit der Hintergrund von diesen sogenannten 360°-Modellen: Wir wollen als Anschubfinanzierer einer Kampagne auch etwas von all dem haben, das in der Wertschöpfungskette dann dabei rauskommt. Nicht nur hinein zahlen und dann aussteigen (lacht).

Sind diese 360°-Modelle jetzt der allgemeine Trend?
Ja. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren war das der Musikindustrie noch gleichgültig, da hat sie in Champagner gebadet, weil quasi jeder seine LPs als CD nachkaufen wollte. Aber mittlerweile ist das nicht mehr egal!

Marc Pircher ist selbst extrem aktiv und macht das meiste in Eigenregie. Ist das für die Firma ein Problem?
Überhaupt nicht, das ist ein riesengroßes Plus. Das Schlimmste, das einer Plattenfirma passieren kann, ist ein Künstler, der einen Vertrag unterschreibt, sich dann zurücklehnt und wartet, dass irgendwas passiert. So kann man auch nicht erfolgreich sein, ein Plattenvertrag ist nicht der Freibrief zum Extremcouching, sondern da beginnt erst die Arbeit. Also das beste, was uns als Plattenfirma passieren kann, sind Künstler wie Marc, die eine Energie wie ein Atomkraftwerk haben und einen Arbeitswillen und einen Arbeitseifer, der ungebremst mit 200 km/h durch die Gegend flitzt. Ein unfassbarer Typ!

Bei diesem Tempo ist es aber auch schwierig, in Ruhe strategische Überlegungen anzustellen. Kann’s da nicht passieren, dass man die Zeit für Veränderungen übersieht?
Solange man erfolgreich ist mit dem, was man tut – und Marc ist extrem erfolgreich – braucht man nichts zu verändern. Man muss nur Ruhepausen einlegen und sich Gedanken machen in die Richtung ‚wo komme ich her, wo gehöre ich hin, wie lange kann dieser Erfolg anhalten und ab wann muss ich mich neu erfinden, damit der Erfolg weitergeht?‘ Auf einer Welle reiten kann man ein paar Jahre, oder auch viele Jahre, nur irgendwann ist der Zeitpunkt für Veränderung da, aber der ist bei jedem Künstler ein anderer. Es gibt natürlich auch Künstler – und das sind dann die Ausnahmen – die durch ihre Beständigkeit erfolgreich sind. Die Amigos zum Beispiel machen seit zwanzig Jahren dasselbe und sind genau deswegen erfolgreich, weil sie eine gewisse Beständigkeit mitbringen. Da weißt du, was du kriegst, und das ändert sich nicht. Das kann auch ein Erfolgsrezept sein.

Wohin wird sich Marcs Karriere entwickeln?
Wenn er älter wird, reifer und nachdenklicher, dann wird er vielleicht jemand sein, der eher mehr in Richtung Liedermacher geht als in Richtung Stimmung, Gaudi, Vollgas. Dass er dann mit seinen Texten mehr ausdrücken will als er es vielleicht jetzt noch tut, so kann ich mir das vorstellen, das wäre eine logische Entwicklung.

Der neue Sinatra vielleicht? Marcs Stimme erinnert manchmal daran, weil sie auch so unverwüstlich ist.
Marc hat eine super Stimme, aber er sollte seine Sprache nicht verlassen. Er muss österreichisch bleiben.

Wie sehen sie die Zukunft für die Branche?
Hm… naja geben wird es die Schlager- und Volksmusikbranche immer. Das kann man nicht kaputt machen, weil’s eben das ist, was am Land stattfindet und es dazu wie gesagt keine Alternativen gibt. Der Bon Jovi wird nämlich in zehn Jahren noch immer nicht in Grammatneusiedl beim Heurigen auftreten. Insofern stehen die Chancen sehr gut, dass wir krisensicher sind, egal, was mit der Musikindustrie in den nächsten Jahren passiert. Ein schöner Ausblick: Wir als Genre sind krisensicher (lacht).

Wie stehen Sie geschmacksmäßig zu Schlager und volkstümlicher Musik?
Ich muss mir ja nicht alles zuhause anhören, für mich privat picke ich mir die Rosinen heraus. Aber weil ich jetzt schon ewig in der Branche bin, hab ich schon immer Schlagermusik gehört und kann sagen, die Titel sind einfach gut. Da kommt man nicht dran vorbei. Wenn man sich Zieh dich an und geh vom Nockalm Quintett in Ruhe anhört oder Sweet Little Rehlein von Gabalier, das sind saugute Nummern. Auch alles, was der Ötzi jemals gemacht hat, sind einfach super gemachte Gute-Laune-Songs, da kann man nicht meckern! Und wenn man bei der Universal-Weihnachtsfeier auch die coole Fraktion zu Hey Baby, I sing a Liad für di und diesem ganzen „uncoolen schlagervolkstümlichen Zeug“ tanzen sieht, dann weiß man, das funktioniert. Ab Mitternacht und ab einem Promill funktioniert das, egal ob einer tagsüber FM4 hört oder nicht.

 

Peter Draxl ist Marketing und A&R (Artists & Repertoire) Director bei Universal Austria.

Als A&R Manager ist er verantwortlich für den österreichischen Markt in den Bereichen Pop, Rock, Klassik, Jazz und Schlager/volkstümliche Musik.

Der diplomierte Industriekaufmann arbeitet seit 20 Jahren in der Branche und ist damit der ältestgediente Manager eines Major Labels in Österreich.

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